Im Interview Prof. Dr. med. Dr. h.c. Paul Robert Vogt «Der Erfolg einer Herz-OP ist von der richtigen Indikationsstellung abhängig»
Operationen sind indiziert, wenn Herzkrankheiten Beschwerden verursachen, die weder medikamentös noch interventionell adäquat behandelt werden können. Oder wenn sie wenig Beschwerden verursachen, aber die Lebenserwartung einschränken. Und es gibt Indikationen für lebensrettende Notfalleingriffe, wie einen Riss der Hauptschlagader.
Eine Herz-OP löst bei vielen Betroffenen sicherlich Ängste aus. Berechtigt? Wie nehmen Sie Ihren Patienten die Sorgen?
Die meisten Wahleingriffe haben ein geringes Risiko. Gut informierte, vollständig aufgeklärte Patientinnen und Patienten haben weniger Ängste. Der Patient muss das Gefühl haben, bei «seinem» Chirurgen sei er gut aufgehoben.
Ältere Patienten haben bekanntlich ein höheres Operationsrisiko. Dabei steigt die Anzahl herzchirurgischer Eingriffe insgesamt. Wie lässt sich das erklären?
Die Erwachsenen-Herzchirurgie ist in weiten Teilen eine Chirurgie an älteren Patienten geworden. Wir erreichen heute ein Alter, für das unsere Herzen wohl nicht konzipiert worden sind. Da immer mehr Leute älter werden, nimmt die Anzahl Herzoperationen zu. Entscheidend für das Risiko sind die Begleiterkrankungen.
Wie profitieren die Patienten darüber hinaus von der Herzchirurgie und deren Fortschritten? Können Sie dies an einem Beispiel erläutern?
Die Herzchirurgie rettet Leben, verbessert die Lebensqualität und erlaubt, die naturgegebene Lebenserwartung auszuschöpfen. Bei einem Riss der Hauptschlagader versterben ohne Operation 90 Prozent aller Patienten – dank der Operation überleben 75 Prozent.
Was sind für Sie die grössten Errungenschaften in der Herzchirurgie?
Die Behandlung von verengten Herzkranzgefässen, wo die Chirurgie der Kardiologie bei den schwer Erkrankten überlegen ist. Aber auch die Operation defekter Herzklappen, Eingriffe an der Hauptschlagader, die Chirurgie der angeborenen Herzfehler und so weiter.
Heutzutage werden Eingriffe, zum Beispiel beim Ersatz der Aortenklappe, zunehmend minimalinvasiv durchgeführt. Was ist darunter zu verstehen?
Den Begriff «minimalinvasiv» sollte man eliminieren. Eine Operation an der Herz-Lungen-Maschine mitten im Herzen ist nie minimalinvasiv. Standardeingriffe erzielen dieselbe Früh- und Spätresultate. Es ist eine rein kosmetische Frage, wo die Narbe sein soll. Minimalinvasiv ist die Behandlung der Aortenklappe mit der TAVI-Methode, da auf Narkose, Herz-Lungen-Maschine und Eröffnung des Brustkorbes verzichtet werden kann.
Und inwiefern profitieren Patienten von dieser Technik?
Die TAVI-Methode erlaubt auch Hoch-Risikopatienten sicher behandeln zu können. Auch die Erholungszeit ist kürzer, als nach offener Herzoperation.
Welche Bedeutung messen Sie in diesem Zusammenhang der Roboterchirurgie bei?
Die Herzchirurgie ist eine rekonstruktive Chirurgie und für den Roboter ungünstig. Zudem: Es sind keine Roboter, sondern Telemanipulatoren, die von einem Operateur bedient werden müssen. Mit dem Roboter in der Herzchirurgie ist es wie mit einem Mondflug: einige fliegen dahin, die meisten nicht. Die Gesellschaft muss sich fragen, ob man diesen Aufwand finanziell verkraften kann, um eine acht Zentimeter lange Narbe auf vier Zentimeter zu reduzieren.
Wenn die Herzleistung hochgradig eingeschränkt ist, kommt das Kunstherz ins Spiel. Wie wird es implantiert und wie arbeitet es?
Ein Kunstherz kommt ins Spiel, wenn eine Herzmuskelschwäche so gravierend ist, dass ein Patient trotz optimaler Medikation schwer symptomatisch ist, wiederholt intensivmedizinisch behandelt werden muss und alle anderen chirurgischen Massnahmen ausgeschöpft sind. Beim Kunstherz pumpt eine kleine, stromgetriebene Pumpe das Blut aus der linken Herzkammer über eine Gefässprothese in die Hauptschlagader und damit in den Körperkreislauf.
Und wie sind die Resultate?
Die Resultate der Kunstherzen werden immer besser. Bei den 65-Jährigen überleben 70 Prozent fünf Jahre; bei den über 75-Jährigen 50 Prozent. Mit einem Kunstherz kann man über zehn Jahre lang leben und sich körperlich betätigen, zum Beispiel Fahrradfahren oder Joggen.
Liesse sich denn auch ein quasi komplettes Herz durch ein Kunstherz ersetzen – also als eine Alternative zur Herztransplantation?
Ein kompletter Herzersatz ist nur ein Zwischenschritt zu einer Herztransplantation. Das 2-Jahresüberleben nach totalem Herzersatz liegt ansonsten bei nur circa 30 Prozent.
Stichwort: Vergleich zu den kardiologischen, interventionellen Verfahren. Besser, gleich, oder weniger effektiv?
Herzchirurgie und Kardiologie sind keine Konkurrenten, sie ergänzen sich. Für die einen bietet die Herzchirurgie, für andere die Kardiologie Vorteile. Paradebeispiel ist die Bypass-Operation: Je schlimmer die Befunde, desto besser sind die Resultate der Herzchirurgie.
Wovon ist der Erfolg eines Eingriffs grundsätzlich abhängig?
Von der korrekten Indikationsstellung: der richtige Eingriff zum richtigen Zeitpunkt. Eine korrekte Operation ist die kardinale Aktion, aber Anästhesie, Kardiotechnik und Intensivmedizin sind ebenso unverzichtbar.
Was muss man tun, um nicht beim Herzchirurgen zu landen?
Man soll Risikofaktoren vermeiden wie Rauchen, Übergewicht, hohen Blutdruck. Der wichtigste Risikofaktor ist aber die fehlende körperliche Betätigung im Sinne von Ausdauertraining.
Wie sieht die Zukunft der Herzchirurgie aus? Braucht es sie noch?
Alle fünf Jahre erhalte ich eine Einladung zu einem Vortrag mit dem Titel «Braucht es die Herzchirurgie noch?». Nun, ich bin immer noch aktiv. In den USA berechnet man, dass die Anzahl Herzoperationen bis 2030 um mehr als 30 Prozent zunehmen werden. Es braucht sie also noch. Das ist gut für unsere Patienten – vorausgesetzt, die Indikation zur Operation ist korrekt.
Erstellt: 26.02.2023 07:00 Uhr
Paid Post
Dieses Portal bietet sich nicht für eine Selbstdiagnose an. Bei Symptomen kontaktieren Sie bitte Ihren Arzt oder Apotheker. Die Beiträge werden von der Redaktion von Xmediasolutions erstellt und nicht von Medizinern. Die Redaktion von Tages-Anzeiger und Tamedia/RX Group haben keinerlei Einfluss auf die Inhalte.