Herzchirurgie und Kardiologie Der Nutzen vor Ort ist offensichtlich – was fehlt, ist Unterstützung

Die EurAsia Heart Foundation konzentriert sich auf die Herzchirurgie und Kardiologie in Entwicklungs- und Schwellenländer. Über die Herausforderungen des lebensrettenden Engagements berichtet der Initiator der Stiftung.

Im Interview: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Paul Robert Vogt

Herr Prof. Vogt, Sie kommen eben von einer Herzoperation, die Sie in der Klinik im Park durchgeführt haben. Die wievielte Operation war das?

Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, da ich aufgehört habe zu zählen. Wahrscheinlich dürften es um die 12'000 Eingriffe sein.

 

Operieren Sie Erwachsene und Kinder?

Im privaten Setting kann man in der Schweiz keine Kinderherzchirurgie betreiben; wir operieren schon angeborene Herzfehler, aber jene im Erwachsenenalter. Die Kinderherzchirurgie ist allerdings ein Schwerpunkt von EurAsia Heart Foundation. Dort hat sich die Arbeit über die Jahre von der Erwachsenen- zur Kinderherzchirurgie gewandelt.

 

Wie lange sind Sie und Ihr Team für die Stiftung unterwegs?

Seit 23 Jahren in 16 verschiedenen Ländern mit ein bis zwei Missionen pro Monat. In dieser Zeit hat die Stiftung über 5’200 Operationen und kardiologische Interventionen durchgeführt und mehr als 25'000 Patienten konsultiert. Die interventionelle Kardiologie, deren grosse Stütze Pierre Levis ist, stellt ein wesentlichen Teil der Stiftung dar. Im Rahmen von EurAsia Heart arbeiten Kardiologen und Herzchirurgen interdisziplinär eng zusammen. Auch Anästhesie, Kardiotechnik und Intensivmedizin sind unverzichtbare Stützen. Dasselbe gilt für auch für Infektiologen, Hygiene-Spezialisten und andere Experten, die mit den Problemen der kardiovaskulären Medizin zu tun haben.

 

Wie hat die COVID-Pandemie die Arbeit der Stiftung beeinflusst?

Im Rahmen unseres Engagement in Tashkent, Uzbekistan, sind wir im Februar 2020 wohl dem ersten COVID-Patienten begegnet. Es handelte sich um einen Mann aus Südkorea, der an einer beidseitigen Lungenentzündung starb. Er war auf der Intensivstation der Herzchirurgie hospitalisiert gewesen. Im März 2020 führte die COVID-Pandemie zu einem abrupten Stop der Stiftungsarbeit. Wir konnte nicht mehr reisen und das für beinahe ein Jahr. Während dieser Zeit waren wir jedoch nicht untätig. Wir haben viele internationale, interdisziplinäre Webinars mit mehr als 12'000 Zuhörenden aus verschiedenen Ländern durchgeführt. Im März 2021 haben wir unsere Missionen wieder aufgenommen. Zu COVID-Zeiten wurde in vielen Ländern keine Herzchirurgie angeboten. Daher haben sich die Wartelisten von Menschen, die auf einen lebensrettenden Eingriff warten, massiv verlängert.

Es ist nach wie vor so, dass weltweit 90 Prozent aller Kinder mit einem angeborenen Herzfehler keine Diagnostik und keine Therapie erhalten und es bräuchte 4’000 Kinderherzchirurgen mehr, um diesen Bedarf an Operationen abzudecken.

 

Ist die Arbeit der Stiftung in den letzten Jahren schwieriger geworden?

Dass vor allem das Fundraising in unsicheren Zeiten schwieriger geworden ist, muss man nicht besonders erwähnen und die Missionen selber sind administrativ aufwendiger geworden. In gewisse Länder konnten wir aufgrund lokaler und internationaler Spannungen nicht reisen. Dafür sind andere Länder dazu gekommen.

Welche Länder meinen Sie?

Wir warten zum Beispiel, bis wir unsere Arbeit in Myanmar wieder aufnehmen können. Die interventionelle Kardiologie im Ukrainischen Kinderherzzentrum in Kiev haben wir jedoch auch in diesen Zeiten weiter unterstützt.

Dazu gekommen ist Afghanistan. Zusammen mit der SwissCross Foundation von Enrique Steiger und Walter Künzi haben wir eine Mission nach Kabul durchgeführt und dort die Situation der Kinderherzchirurgie, Traumatologie sowie plastischen und Wiederherstellungschirurgie evaluiert.

SwissCross ist auch im Irak seit Langem aktiv, so zum Beispiel in Erbil, während EurAsia Heart zum ersten Mal in Kerbala, der heiligen schiitischen Stadt, eine aufstrebende Kinderherzchirurgie besucht hat, die noch ganz auf externe Hilfe angewiesen ist. Beide, SwissCross und EurAsia Heart, werden sich in diesen Ländern engagieren. Natürlich haben wir auch Anfragen aus vielen afrikanischen Ländern, die wir ebenso ernst nehmen. Aber wir haben keine unbegrenzten Mittel und wir wollen unsere Mittel so effizient wie möglich einsetzen.

 

Und die politischen Aspekte?

In jedem Land diskutieren wir politische Aspekte mit unseren lokalen Kollegen. Wir haben kein röhrenförmiges Gesichtsfeld. Aber sowohl SwissCross wie auch EurAsia Heart sind apolitisch. Wir kümmern uns um kranke Kinder, um verletzte Kinder und Erwachsene, um kriegsverletzte Kinder. Die Kinder sind die doppelten Opfer in Konflikten. Konflikte verhindern, dass sie zum Beispiel im Rahmen ihrer angeborenen Herzfehler elektiv operiert werden können, weil es keine Kapazitäten gibt; und Konflikte «produzieren» verletzte, traumatisierte und invalide Kinder. Für die EurAsia Heart Foundation ist es ein neue – und traurige – Erfahrung, dass man uns Kinder vorstellt, die andere Verletzungen als nur angeborene Herzfehler haben, und ich kann nur sagen, dass wir froh sind, dass ein Facharzt FMH für Allgemeinchirurgie in früheren Zeiten Voraussetzung war, Herzchirurg werden zu können. Sollen wir wegschauen, wenn man uns ein verletztes Kind zeigt, weil wir EurAsia Heart heissen?

 

Bekommen Sie Unterstützung?

Unterstützung von wem? Von unserem Land? Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, die BIZ, hütet 3,2 Milliarden Franken – Geld, das eigentlich Afghanistan gehört. Wir haben nachgefragt. Kann man SwissCross und EurAsia Heart in Afghanistan unterstützen? Zugunsten der leidenden Afghanischen Kinder? Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube man hat SwissCross und EurAsia Heart 25'000 Schweizer Franken offeriert. Seit Jahren kämpfen wir darum, von unseren staatlichen Entwicklungshilfe-Organisationen finanzielle Unterstützung zu kriegen. Das tun auch unsere Partnerorganisationen. Zu keinem Zeitpunkt haben wir eine signifikante finanzielle Unterstützung durch unser eigenes Land erhalten – egal für welche Kinder in welchem Land wir diese Unterstützung beantragten. Für Waffen und Kriege gibt es Geld im Überfluss. Für Wiederaufbau und für die Hilfe für kranke und verletzte Kinder muss man betteln.

Die minimale, im Prinzip unbrauchbare finanzielle Unterstützung war zudem mit einem Bürokraten-Terror verbunden, den kleine Stiftungen sie SwissCross oder EurAsia Heart nicht bewältigen können, wenn sie ihre administrativen Kosten bei unter drei Prozent halten wollen. Die finanzielle Unterstützung vom Staat fliesst zu 75 Prozent in die administrativen Vorgaben der staatlichen Entwicklungshilfe-Organisationen zurück – eine Bürokratie, welche die Mitglieder von EurAsia Heart vom Operationssaal oder der Intensivstation an den Bürotisch zwingt, um sinnlose administrative Fragen zu beantworten. Es ist derselbe Bürokraten-Terror – man kann es gar nicht mehr anders nennen – der in unserem regulären Gesundheitswesen in der Schweiz nicht nur der primäre Kostentreiber ist, sondern auch noch das Pflegepersonal und die Ärzte aus den Spitälern vertreibt.

 

Und wie geht es bei all den Schwierigkeiten weiter?

Wir haben gelernt, uns durchzuschlagen. Trotz aller Schwierigkeiten führt EurAsia Heart jeden Monat Missionen durch, behandelt schwierige Patienten, kooperiert mit den lokalen Kollegen und organisiert Weiterbildungsseminare für den talentierten Nachwuchs. Die Anzahl Missionen ist nicht durch einen Mangel an «reisewilligem» Pflegefachpersonal oder medizinischen Experten limitiert, sondern wird durch die begrenzten finanziellen Möglichkeiten definiert. Trotzdem: In 2023 waren wir schon in Uzbekistan, in Georgien, im Irak, in Kurdistan, in Kiew, in Nigeria. Weitere Missionen sind bereits fest geplant: in Vietnam, in China, im Irak, in Georgien und so weiter. Der Bedarf ist riesig – vor allem auch in afrikanischen Ländern wie Nigeria, Ghana, Kenia, Liberia, Äthiopien, Tanzania und so weiter. Wir geben nicht auf, weder SwissCross noch EurAsia Heart.

Sehen Sie überhaupt Lösungswege?

Wir können die Welt nicht im Grossen ändern. Aber für das einzelne Kind können wir einen grossen Unterschied erzielen. Mit finanzieller Unterstützung vom Staat, von Einzelpersonen, von der Industrie, von wem auch immer, könnten wir bedeutend mehr bewirken. Ein Kind zu retten, kostet 2’000 bis 5'000 Schweizer Franken, je nach Schwierigkeitsgrad.

 

Wer profitiert von Ihrer Stiftungsarbeit?

Der Nutzen vor Ort ist für alle ist offensichtlich: Es werden Erwachsene und Kinder operiert, welche die lokalen Experten (noch) nicht operieren können. Kinder und Erwachsene werden gerettet. Herzchirurgen, Kardiologen, Intensivmediziner, Anästhesisten und Kardiotechniker vor Ort werden ausgebildet. Zentralasien hat Tausende und Abertausende von Kindern mit einem angeborenen Herzfehler, welche behandelt werden möchten. Doch zuerst müssen Fachleute für die schwierig zu behandelnden Patienten ausgebildet und die entsprechenden Kapazitäten geschaffen werden, bis sie dereinst selbstständig agieren können.

Der Nutzen für unsere Experten, die reisen: Anlässlich solcher Missionen operiert ein Herzchirurg bis zu drei Patienten pro Tag, inklusive Samstag und Sonntag. Das heisst, er kommt auf 15 bis 20 Operationen pro Woche Mission. Ein solches Programm kann keine Klinik in der Schweiz einem Herzchirurgen offerieren. Zudem finden sich viele seltene Diagnosen: fünf Patienten in einer Woche mit einer Diagnose, die man hier in der Schweiz vielleicht einmal in fünf Jahren sieht. Der fachliche Gewinn für Herzchirurgen aus der Schweiz ist offensichtlich. Zudem: Jene Chirurgen, die auf diese Weise im Ausland tätig sind, sind dort die «letzte Instanz». Sie müssen alles entscheiden, für alles die Verantwortung tragen und werden dabei von allen Seiten beobachtet: Alles, was sie sagen und tun, wird registriert. Die Mittel sind knapp und deshalb ist höchste Effizienz geboten – nicht wie bei uns. Diese Art der Arbeit bildet und fördert den eigenständigen Charakter. Man lernt zu improvisieren und Verantwortung zu übernehmen. Nationale und internationale Erfahrung sind wichtig, um dann auch zu Hause bessere Resultate erzielen zu können. 

Erstellt: 07.05.2023 07:00 Uhr

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