Genmedizin Mehr Klarheit dank unserem Erbgut
Während Genetik früher etwas Exotisches war, ist sie heute aus keinem medizinischen Fachgebiet mehr wegzudenken. Ergänzend zu traditionellen Ansätzen der Medizin befasst sich die genetische Medizin mit den Ursachen, der Diagnostik und der Risikoabschätzung genetischer Erkrankungen vor und nach der Geburt und stimmt die medizinische Behandlung darauf ab.
Erbkrankheiten frühzeitig identifizieren
Die erbliche Veranlagung ist für die Entstehung und den Verlauf vieler Krankheiten mitverantwortlich. Zu den häufigsten Erbkrankheiten zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebserkrankungen – allen voran Brust- und Prostatakrebs. Mit genetischen Analysen können heute Gene untersucht und die Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, mit der jemand an einem bestimmten vererbbaren Leiden erkrankt.
In der Herzmedizin beispielsweise helfen Gentests dabei, das Herz-Kreislauf-System einer Person besser zu verstehen und allfällige Rhythmusstörungen oder Probleme mit dem Herzmuskel frühzeitig zu erkennen. Erleidet ein junger, fitter Mensch beispielsweise einen plötzlichen Herztod, können sich die Angehörigen fragen, ob es sich dabei um einen schrecklichen Ausnahmefall handelte oder ob eine entsprechende Genvariante, die allenfalls auch andere Familienmitglieder in sich tragen, der Auslöser war. Soweit muss man aber gar nicht gehen. Auch erhöhte Cholesterinwerte können familiär bedingt sein: In der Schweiz leiden geschätzt 45'000 Personen an der sogenannten «familiären Hypercholesterinämie». Die Krankheit ist stark unterdiagnostiziert – man schätzt, dass nur rund zehn Prozent der Betroffenen über ihre Krankheit Bescheid wissen. Prof. Sabina Gallati, Co-Leiterin Genomische Medizin bei Hirslanden erklärt: «Natürlich sind Umweltfaktoren wie ein ungesunder Lebensstil weiterhin die häufigste Ursache für erhöhte Cholesterinwerte. Wenn die Werte aber trotz eines gesunden Lebensstils hoch bleiben oder in der Familie Herzinfarkte oder Hirnschläge bereits in jungen Jahren vorkommen, sollte man hellhörig werden.» Gezielte Präventions- und Behandlungsmassnahmen können dann helfen, das Schlimmste zu verhindern.
Dasselbe gilt in der Krebsmedizin: Ist eine Person aufgrund ihres Stammbaums gefährdet, eine Krebserkrankung zu entwickeln, kann ein Gentest dabei helfen, das Risiko zuverlässiger zu identifizieren. Im Falle eines positiven Befunds können dann frühzeitig entsprechende Präventivmassnahmen eingeleitet oder bei Ausbruch der Krankheit eine gezielte Therapie eingesetzt werden. Im Falle eines negativen Befunds ist es eine enorme Erleichterung für die betroffene Person.
Wirksamere Behandlung dank Pharmakogenetik
Genetische Untersuchungen können aber auch aufzeigen, ob ein bestimmtes Medikament gut wirken oder zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann. Je nach Medikament können bis zu 50 Prozent der Patientinnen und Patienten nicht davon profitieren. Prof. Thomas D. Szucs, Co-Leiter Genomische Medizin bei Hirslanden verordnet seit vielen Jahren genetische Analysen im Bereich Medikamentensicherheit und -wirksamkeit: «Die Erkenntnis, dass ein gewisses Medikament Nebenwirkungen auslöst, kann unter Umständen lebensrettend sein. Es gibt Medikamente, die bei Patienten und Patientinnen bestimmter genetisch bedingten Herzrhythmus-Störungen nicht eingesetzt werden sollten. Mit einem spezifischen genetischen Test können wir feststellen, ob und in welcher Dosis ein Medikament bei einer Person wirkt. Das spart auch wertvolle Zeit in der Behandlung.»
Genetische Untersuchungen helfen auch Familienangehörigen
Ob in der Prävention, Diagnostik oder Therapie – es ist enorm wichtig, die grossen Unterschiede zwischen Patientinnen und Patienten zu verstehen und das medizinische Vorgehen entsprechend anzupassen. Genetische Analysen können die Diagnose sicherer und genauer machen. Ausserdem können basierend auf den Ergebnissen gezieltere Präventionsmassnahmen eingeleitet werden. Die Therapie wird zielgerichteter und die Prognose aussagekräftiger. Dies hilft nicht nur direkt betroffenen Personen: Mehr Klarheit ist auch für ihre Angehörigen wichtig. Es ist zentral, sie über Befunde und die Möglichkeit, eine genetische Beratung in Anspruch nehmen zu können, zu informieren und sie – falls es medizinisch relevant ist und sie es wünschen – auch zu testen. «Wir haben viele Patienten und Patientinnen, die eine Analyse vor allem für ihre Liebsten durchführen lassen. Am aufwändigsten ist eine genetische Analyse immer für die erste betroffene respektive erkrankte Person – sobald man weiss, nach welcher genetischen Variante man suchen muss, wird es einfacher», so Prof. Szucs.
Genetische Beratung zu Beginn ist zentral
Zu Beginn wird immer ein genetisches Beratungsgespräch durchgeführt. Auf Basis einer Stammbaum-Analyse entscheidet der Spezialist oder die Spezialistin gemeinsam mit der zu behandelnden Person ob und welche genetischen Tests sinnvoll sind. Die Relevanz und die Grenzen der genetischen Untersuchungen sind unterschiedlich. Prof. Gallati betont: «Für uns steht dabei im Zentrum, dass der Test dem neuesten Stand des Wissens entspricht, sowie qualitätsgesichert ist und auf Basis der Resultate in der Therapie oder bezüglich Prävention etwas verbessert werden kann. Darüber klären wir in einem ersten Gespräch auf.»
Entscheidet sich jemand für eine genetische Analyse, reicht eine einfache Blutentnahme, wie man sie vom Arztbesuch kennt. Der Vorteil im Gegensatz zu anderen medizinischen Untersuchungen: Möchte man später noch mehr über das eigene Erbgut erfahren, dann lässt sich eine erneute Analyse mit derselben Probe problemlos machen.
Anschliessend an die Analyse werden die Erkenntnisse in die Gesamtbehandlung integriert. Die Spezialistinnen und Spezialisten zeigen auf, welche Präventionsmassnahmen zielführend sind oder welche Therapien am erfolgversprechendsten. Dabei arbeiten sie sehr eng mit dem behandelnden Arzt beziehungsweise der behandelnden Ärztin zusammen. Basierend auf den individuellen genetischen Voraussetzungen unserer Patientinnen und Patienten schaffen sie so die Grundlage für mehr Lebensqualität.
Zu den Personen
Prof. Dr. phil. nat. Sabina Gallati ist Co-Leiterin Genomische Medizin von Hirslanden Precise und Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für genetische Untersuchung beim Menschen (GUMEK). Mit ihrer langjährigen Erfahrung im Bereich Humangenetik berät sie ihre Patientinnen und Patienten in Bezug auf genetische Untersuchungen in verschiedenen Fachbereichen – unter anderem in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungen-Erkrankungen, medizinische Check-ups, Krebs und seltene Erbkrankheiten.
Prof. Dr. med. Dr. iur. Thomas D. Szucs ist Facharzt für Prävention und Gesundheitswesen sowie Pharmazeutische Medizin. Er ist Co-Leiter von Hirslanden Precise und berät seine Patientinnen und Patienten seit vielen Jahren im Bereich Medikamentenwirksamkeit und -sicherheit – unter anderem in den Bereichen Schmerztherapien, Antidepressiva und Anästhesie. Er hat eine eigene Praxis für personalisierte Medizin in der Klinik Hirslanden in Zürich.
Erstellt: 08.07.2022 07:00 Uhr
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