Wissenschaft Dem Gehirn auf der Spur

Das menschliche Gehirn mit seinen 100 Milliarden Nervenzellen ist das komplizierteste Organ, das die Natur je hervorgebracht hat. Neues aus der Gehirnforschung ist daher stets von grossem Interesse.

Dem Gehirn auf der Spur
Mehrere Forscherteams haben zusammen den bislang umfangreichsten Zellatlas des menschlichen Gehirns erstellt und unter anderem mehr als 3’000 Typen von Hirnzellen und deren genetische Aktivität ermittelt.

Neuer Gehirn-Atlas

Unser Gehirn besteht aus Billionen von Nervenzellen, die in einem komplexen Netzwerk miteinander verschaltet sind. Mehrere Forscherteams haben zusammen den bislang umfangreichsten Zellatlas des menschlichen Gehirns erstellt und unter anderem mehr als 3’000 Typen von Hirnzellen und deren genetische Aktivität ermittelt. Rund 80 Prozent davon sind Nervenzellen, bei den übrigen handelt es sich um unterschiedliche Arten von Gliazellen, die die Nervenzellen stützen, versorgen und elektrisch isolieren. Untersucht wurde etwa, wie Nervenzellen im Gehirn in ihren Funktionen voneinander abweichen. «Dies ist wirklich der Beginn einer neuen Ära in der Hirnforschung, in der wir besser verstehen können, wie sich Gehirne entwickeln, wie sie altern und von Krankheiten in Mitleidenschaft gezogen werden», sagte Joseph Ecker vom Salk Institute, der an mehreren der insgesamt 21 Studien beteiligt war. Etwa die eines Forschungsteams um Yang Li von der University of California in San Diego. Sie deckten mithilfe von Deep-Learning-Modellen Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit bestimmter Hirnzelltypen und neuropsychiatrischen Störungen auf, darunter Schizophrenie, bipolare Störung, Altheimer und schwere Depressionen. Dank des neuen Wissens könnte in Zukunft das individuelle Risiko für diese Erkrankungen besser eingeschätzt und womöglich frühzeitig Massnahmen zur Vorbeugung und Behandlung ergriffen werden.

Dem Gehirn auf der Spur
Welche dynamischen Prozesse laufen im Gehirn in akuten Stresssituationen ab?

Einfluss von akutem Stress

Welche dynamischen Prozesse laufen im Gehirn in akuten Stress-situationen ab? Und wie kann man Erkenntnisse bei der Behandlung von stressbedingten Erkrankungen nutzen? Diesen Fragen gingen forschende des Max-Planck-Institutes für Psychiatrie (MPI) und der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Tübingen nach, indem sie die Studienteilnehmenden, Menschen mit und ohne affektive Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen, im Magnetresonanztomographen unter Zeitdruck Matheaufgaben lösen liessen. «Unsere Studie zeigt nicht nur, wo Veränderungen auftreten, sondern wie verschiedene Hirnregionen zusammenspielen und wie sich ihre Kommunikation im Lauf der Situation verändert», fasst Erstautorin Anne Kühnel vom MPI zusammen. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift «Biological Psychiatry» veröffentlicht und stützen die These, dass psychische Störungen Netzwerk-Erkrankungen sind, bei denen das Zusammenwirken von neuronalen Einheiten gestört ist. Gerade für individualisierte Ansätze in der Behandlung von stressbedingten Erkrankungen sieht Nils Kroemer, der die Arbeitsgruppe Computational Psychiatry in Tübingen leitet, grosses Potenzial: «in der Zukunft könnten wir unsere dynamischen Modelle der Hirnantwort einsetzen, um beispielsweise die gezielte Wirkung von Medikamenten zu untersuchen, die die Stressantwort bei Personen mit einem hohen Risiko verbessern könnten.»

Depression: Einfluss von Immunzellen

Gestresste Mäuse verhalten sich wie Menschen mit Depression: zu dieser Erkenntnis sind forschende aus Zürich und New York gekommen. Dass viele stressbedingte psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen mit Veränderungen des Immunsystems einhergehen, ist nichts neues. Doch die zugrundeliegenden Mechanismen waren bislang weitgehend unbekannt. «Wir konnten zeigen, dass Stress die Menge des Enzymes Matrixmetalloproteinase 8, kurz MMp8, im Blut von Mäusen erhöht. dieselbe Veränderung fanden wir auch in Patientinnen und Patienten mit einer Depression», sagt Erstautor Flurin Cathomas. Vom Blut gelangt MMp8 aus den Immunzellen ins Gehirn und verändert dort die Funktionstüchtigkeit bestimmter Nervenzellen. Bei den betroffenen Mäusen führt dies zu Verhaltensänderungen wie sozialem Rückzug. Bei Nagern, denen das Enzym MMp8 entfernt wurde, konnte dies nicht beobachtet werden, heisst es im Fachblatt «Nature». Inwieweit lässt sich das Immunsystem durch die Stimulation gewisser Gehirnareale beeinflussen? Und haben allfällige Veränderungen in den Immunzellen einen Einfluss auf das Verhalten depressiver Menschen? Diese Fragen möchte das Wissenschaftlerteam als nächstes in klinischen Studien testen.

Erstellt: 02.07.2024 07:00 Uhr

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